Cambridge, Massachusetts, Freitag, kurz nach 16:00 Uhr
Es klingelte mehrmals bis Ben schließlich abhob. Ein gegrunzter Gruß war zunächst alles, was Sergio hörte. Er schaffte er es nicht, sein Anliegen zu formulieren, denn bereits im ersten Satz wurde er von seinem Kontaktmann rüde unterbrochen. "Sorry, grade ganz schlecht. Hier ist die Hölle los. Eine Gruppe Immigranten wurde aufgegriffen - zunächst alles Standard, aber dann kam eine radikale Gruppe - wie zur Hölle soll ich denn wissen, was für eine - dazu und jetzt... F*ck!" Die Geräusche einer Explosion drangen durch den Lautsprecher. "Sh*t, f*ck*ng m*th*rf***... Die feuern scharf! Das ist nicht gut, gar nicht gut. Ich muss Position wechseln. Muss los!" Mit einem lauten Klicken wurde das Gespräch unterbrochen. Die Tatsache, dass der Hafenarbeiter in den wenigen Gesprächen, die Sergio mit ihm gehabt hatte, stets eine für seine Berufsgruppe ungewöhnlich zivilisierte Ausdrucksweise an den Tag legte, sprach Bände.
*~*~*
Als Sergio sie nach einem Telefon ohne Rufnummerverfolgung fragte, warf Felina ihm kommentarlos ihr eigenes Smartphone zu. Bei Gelegenheit sollte sie ihm eines der Prepaid-Handys anbieten, die sie für Notfälle bereit hielt - immer wieder kamen Mutanten auf der Suche nach Schutz ohne jeglichen Besitz bei ihr an und waren dankbar, wenn sie sie mit dem Notwendigsten ausstattete. Gerade an Handys, Tabletts und ähnlichem Schnickschnack herrschte kein Mangel. Obwohl sie ihre Aktivitäten so gut sie konnte vor ihrem Vater geheim hielt, kamen überraschend oft Geschäftspartner und Familienfreunde vorbei, um eine Kiste vorbeizubringen, die kurz zuvor von irgendeinem Transporter gefallen war und vielleicht irgendwas brauchbares für sie und ihre Studentenfreunde enthalten könnte. Don't ask, don't tell! Mit diesem Credo war die junge Italienerin aufgewachsen, war stets gut damit gefahren und solange sich alle an diese Regel hielten, waren sie alle eine glückliche Familie.
In der Küche angekommen, hatte sie J.C. gedeutet, die Einkäufe auf den Küchentisch zu stellen. Sie ließ sich keine Zeit, die Informationen sacken zu lassen. Stattdessen warf sie umgehend die monströse Kaffeemaschine an - das einzige blitzblanke Hightech-Gerät in den Gemeinschaftsbereichen der WG. Zischend stieg eine Dampfwolke in den Raum. Davon unbeirrt füllte Felina frische Bohnen - brasilianischer Fairtrade - nach und prüfte den Wasserstand. Fast liebevoll glitten ihre Hände über ihren Schatz, dessen unbeaufsichtigte Nutzung die meisten Mitbewohner nie gewagt hätten. Da sie jede Menge Kaffee benötigen würden, wählte sie die Einstellung Kanne und wandte sich zu dem Küchenschrank, in der sich das Thermogefäß für Besucher befand. Erst nun fiel ihr auf, dass der Punk zu kochen begonnen hatte. Diese Handlung überraschte sie durchaus ein wenig, doch sie entschloss sich, nicht zu kommentieren. Sie war sicher, dass er seine Gründe hatte. Trotz seines etwas skurrilen Aussehens, hatte sie den jungen Mann sofort in ihr Herz geschlossen. Ohne Fragen zu stellen, hatte er ihr nach dem Eklat in der irischen Schule Unterschlupf geboten und geduldig darauf gewartet, dass sie sich genug gefangen hatte, ihr Zimmer zu verlassen. Ihren Freunden gegenüber zu treten. Aktiv zu werden. Außerdem sollte man nie eine Mahlzeit ausschlagen, wer wusste schon, wann die nächste wartete? Lediglich die Fertigsaucen, die sie in seiner Tüte erspähte, ließen sie die Nase rümpfen.
"Ich schmeiß schnell den Kaffee an und geh mich dann kurz umziehen. Du hast hier alles im Griff, wie ich sehe." Sie stellte die Thermoskanne unter die Kaffeemaschine und drückte einige Knöpfe. Mit einem höllischen Lärm machte das Monstrum sich daran, die Bohnen zu zerkleinern. Keine Sekunde abwartend, wandte sich das Katzenmädchen ab und eilte aus der Küche und in schnellen Sätzen die Treppe empor. Doch sie hatte nicht einmal den ersten Absatz erreicht, als ein lautes Klopfen sie mitten in der Bewegung innehalten ließ. Überrascht wandte sie sich zur Tür. Dann fiel ihr wieder ein, dass sie am Vormittag einen Anruf erhalten hatte, dass eine Gruppe flüchtiger Mutanten, eventuell mit Verletzten, im Laufe des Tages ankommen würden. Ab und an wunderte es sie, wie weite Kreise das Geheimnis um ihre WG zog. Eigentlich schien es ihr noch etwas früh. Aber in dem Durcheinander hätte sie die Gruppe ohnehin völlig vergessen. Gut also, dass sie sich nun frühzeitig in Erinnerung rief. Sie seufzte - wenn, dann kam alles auf einmal.
So drehte Felina also auf dem Absatz um und hechtete die Treppe hinunter. Ab und an liebte sie es, ihre Kräfte zu nutzen. Binnen Sekunden war sie an der Tür. Nur für den Fall schnappte sie sich ein Cap der Boston Sox, welches für solche Fälle an der Garderobe bereit lag, und setzte es auf. Dann öffnete sie schwungvoll und mit einem freundlichen Lächeln die Tür. Schnell hatte sie gelernt, dass der Ersteindruck entscheidend war und die meisten Flüchtigen dringend Vertrauen und Geborgenheit benötigten.
Das Lächeln gefror mit einem erstickten Ton der Überraschung auf ihren Lippen. Für einen Augenblick starrte sie Sylvain an, als habe sie einen Geist gesehen. Doch ebenso schnell drang seine Präsenz in ihr Bewusstsein. Sofort erkannte sie sein Gesicht, seinen Geruch - als hätten sie sich erst gestern gesehen. Natürlich hatte er sich in den Jahren verändert, doch dank Skype wusste sie stets genau, wie er aussah. Nun sah sie ihn endlich wirklich vor sich und konnte ihn tatsächlich... sie führte den Gedanken nicht zu Ende. Stattdessen warf sie sich ihm mit einem erfreuten Ausruf um den Hals. "Sylv!" Sie schmiegte sich etwas zu lange an den ehemaligen Klassenkameraden und fuhr dann erschrocken zurück. Musterte das Wesen, das ihre Instinkte zunächst übersehen hatten und welches dadurch fast erdrückt worden wäre. Schnell wanderte ihr Blick aber wieder zum Gesicht des Kanadiers, suchte seinen Blick. Für diesen Moment waren alle anderen Gedanken wie weggeblasen. Plötzlich stieg eine unerklärliche Nervosität in ihr auf und sie schob sich mit dem Handrücken einige nicht vorhandene Strähnen aus dem Gesicht. "Hi", hauchte sie schüchtern.
Spielleitung: Cambridge, Massachusetts, Freitag, kurz nach 16:00 Uhr
Zunächst schien es, als bliebe Andrews Smartphone ihr einziges Fenster zur Außenwelt. Natürlich nahm der alte Schrottkasten Sergios Manipulationsversuche mit wenig Humor. Erst einmal gab es ein wenig Schneegestöber, ein unscharfes Bild, keinen Ton. Auch keinen hörbaren Erfolg beim Versuch, die Lautstärke zu regulieren – lediglich die Skala stieg. Doch dann konterte der Fernseher urplötzlich, indem er CNN verweigerte und stattdessen gestochen scharf Fox News wiedergab. Ohrenbetäubend schallte eine Sirene durch das Wohnzimmer und wohl das gesamte Haus – fürwahr, es wäre ein Wunder, wenn die Nachbarn es nicht hörten. Auf einem „live“ untertitelten Video sah man zunächst vor allem eine dichte Rauchwolke und nur verschwommen einige verstreute Körper. Wer dort lag und ob es sich um verletzte oder Tote handelte, war nicht zu erkennen. Das Bild war von einiger Entfernung aus der Vogelperspektive aufgenommen, höchstwahrscheinlich von einem Hubschrauber.
Über die Sirenen dröhnte die Stimme eines unsichtbaren Nachrichtensprechers „…reagierten mit unprovozierter Gewalt auf einen Routineeinsatz der Einreisekontrolle. Es scheint sich dabei um einen Konflikt verschiedener und untereinander verfeindeter Splittergruppen zu handeln, in den die Gesetzeshüter geraten sind. Einer der Terroristen, hat eine Beamtin als Geisel genommen und befindet sich nun auf der Flucht. Laut Augenzeugenberichten handelt es sich…“ der Nachrichtensprecher unterbrach sich kurz und fuhr dann zögerlich fort „um einen Werwolf. Vermutlich hat er sein Opfer bereits infiziert…“ Die Szenerie wechselte kurz zu einem offensichtlich stark vergrößerten und dementsprechend verschwommenen Bild, auf dem am Rande der Rauchwolke eine etwas größere, entfernt als Mann zu erkennende Gestalt eine weitere Person aus der Gefahrenzone trug. Die Farben entsprachen der Kleidung, die sie zuvor an Jason gesehen hatten. „Die Situation am Anschlagsort ist weiterhin unübersichtlich, doch ersten Meldungen zu Folge gibt es mehrere Tote und schwer verletzte Polizisten…“
Tief in seiner eigenen Welt versunken bemerkte J.C. kaum, dass Johnny Cash seine Gedankengänge plötzlich mit sanfter Stimme untermalte. Gerade noch konnte er ein kleines, unscheinbares Küchenradio als Ursprung von „Hurt“ identifizieren, bevor im Wohnzimmer nebenan die Hölle losbrach. Sirenen, ein Nachrichtensprecher – selbst in der Küche war der Ton noch laut und deutlich genug, um den Inhalt der Worte zu verstehen…
Cambridge, Massachusetts, Freitag, kurz nach 16:00 Uhr
Auch Felina blieb kaum Zeit, sich über das selbstsichere Auftreten ihres einst so schüchternen Freundes oder das bizarre Tierchen auf seiner Schulter zu wundern. Kaum bemerkte sie sein leichtes Zucken, da zuckte sie ihrerseits heftig zusammen, als die Sirenen aus dem Fernseher erklangen. Sie löste sich aus der Umarmung, fasste stattdessen nach Sylvains Hand, zog ihn ins Haus und schloss die Tür. Dann wirbelte sie herum in Richtung Wohnzimmer. „Dios mio, estàis locos?“ Ihre Stimme schaffte es sogar, den Fernseher zu übertönen.
Ohne eine Reaktion abzuwarten, wandte sie sich wieder den beiden Neuankömmlingen zu. “Sorry, hier geht es gerade etwas drunter und drüber! Im Hafen gibt es eine größere Krise, sie haben einige von uns aufgegriffen – darunter auch Jason, du erinnerst dich, der Husky aus Frankreich? Zum Glück bist du nicht mit dem Schiff angekommen… Oder?“ Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass das es ebenso gut Sylvain hätte erwischen können. Die Erkenntnis traf sie mit einer Wucht, dass ihr schlecht wurde und erneut alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. Doch schnell riss sie sich zusammen, schließlich war er augenscheinlich gesund und munter hier angekommen. Deshalb fuhr sie in gezwungen lockerem Tonfall fort. „Wir wollten gerade einen Schlachtplan erstellen, als du geklopft hast. Unglaublich, aber es ist fast wie in alten Zeiten! Andrew hatte vor ein paar Tagen die gleiche Idee wie du. J.C. ist zu Besuch da und Sergio… Mr. Vázquez… wohnt seit kurzem hier. Du wirst ihn nicht wiedererkennen! – Oh, aber wo sind denn meine Manieren! Leg erst einmal deine Sachen ab. Du bist sicherlich k.o. Hast du Hunger? Durst? Jay bereitet gerade etwas zu essen vor, der Kaffee ist auch gleich fertig…“
Wie ein kleiner Wasserfall sprudelten die Worte aus Felina heraus. In ihrer Bemühung, ihn nicht zu beunruhigen und ihm stattdessen das Gefühl des Willkommens und ihrer Freude zu vermitteln, vergaß sie vollkommen, dass es zwecklos war Gefühle vor Sylvain verbergen zu wollen. Vor lauter Aufregung bekam sie auch nicht ein Wort des Nachrichtensprechers mit, jedoch hatte sie die Ohren fest an den Kopf angelegt und scheinbar konnte sie die Lautstärke nicht weiter verdrängen… „Geh doch schon mal in die Küche! Ich bin gleich wieder da. Helfe den Jungs nur schnell mit dem Fernseher – bevor die Nachbarn uns wegen Ruhestörung anzeigen.“ Es sollte scherzhaft klingen, doch als die Worte ihren Mund verließen, war der Klang selbst für ihre Ohren schal. Sie drückte noch einmal kurz die Hand des Kanadiers, die sie ganz selbstverständlich immer noch gefasst hielt, und eilte dann zum Wohnzimmer, um nach den Batterien zu suchen, welche Sergio eben im Raum verteilt hatte. Zu dumm, dass die manuelle Einstellung an dem Gerät kaputt war…
Cambridge, Massachusetts, Freitag, kurz nach 16:00 Uhr
Sergio hatte sich in die Hocke begeben und versucht, dem geradezu antiken Fernsehgerät Herr zu werden, das bislang nur Rauschen anzeigen wollte, als Andrew ihm die Smartphone-Bilder zeigen wollte. Von seiner Position aus sah er über die Schulter auf zu dem Kumpanen und wurde blass - selbst auf dem kleinen Display war genug zu sehen, um das Grauen zu zeigen, das sich im Hafen abspielte. Er spürte, wie Unruhe von ihm Besitz ergriff, sein Puls sich beschleunigte. iPuta madre! que horror ...
Dann plötzlich beschloss der Fernseher anscheinend, dass er sich in seinem gestandenen Alter nicht von einem Mobiltelefon ausstechen lassen wollte und dröhnte durch den Raum wenn nicht gar die ganze Straße mit hörsturzverursachender Lautstärke. Vor Schreck fiel Sergio hinten über und musste sich erst wieder aufrappeln, ehe er hektisch und genervt auf den Knopf zur Lautstärkereduzierung einhämmerte. Von hinten erschall Felinas Stimme und gestresst gab er zurück: "Lo siento mucho, pero no es culpa mia que tienes un aparato de mierda que probablemente ya no había funcionado cuando lo heredó tu abuelo en la segunda guerra mundial!" Er merkte nicht, dass er mit der für Spanier üblichen Geschwindigkeit ratterte, mit der jeder Lateinamerikaner mühelos abzuhängen war. Auch sein andalusischer Akzent kam überdeutlich durch, obwohl er sonst ein recht sauberes Kastilisch sprach.
Entnervt bemerkte er, dass seine Versuche zwecklos waren und wollte sich nun doch gerade endlich nach der Fernbedienung und den Batterien umsehen, als erneut Jason auf den Fernsehbildern zu sehen war, welcher eine offensichtlich bewusstlose und verletzte FBI-Agentin trug und anscheinend aus der Gefahrenzone zu bringen versuchte. Freilich deuteten Kommentatoren bei Fox News das Geschehen anders. Entsetzt schüttelte Sergio den Kopf. "Dios mío ...", war alles, was er hervorbrachte, während hinter ihm Felina der Raum betrat und sich der Fernbedienung annahm.
Spielleitung: Boston, Hafen
Eine der Türen des Schwarzen SUV öffnete sich. Ein untersetzer Mann stieg aus. Er hatte ein Telefon an seinem Ohr und sprach schnell hinein.
Von seiner Position aus, konnte Jason nicht hören worum es ging, doch es schien als ob dem Mann irgendetwas gar nicht gefiel. Er wirkte fahrig und fuchtelte mit der anderen Hand wild umher, warf immer wieder einen Blick in die Richtung des Hafens auf der vermeintliche Anti-Terror-Einsatz gerade so grandios schief gegangen war.
Er schien immer mehr aus sich zu sein, als die vordere Tür sich öffnete und ein weiterer Mann, dieser von der Statur eines Schranks ausstieg. Er wirkte weitaus ruhiger und musterte die Umgebung. Fast schien es als habe er Jason gesehen, doch dann beugte er sich zurück in den Wagen und zog etwas hervor, dass er unter einer Jacke verdeckt hielt...
Als William den Blick in Richtung des Krans richtete, konnte er Ben erkennen, der gerade versuchte sich selbst in Sicherheit zu bringen. Offensichtlich war er aus irgendwelchen Gründen viel zu lange bei seinem Kran geblieben und so waren 2 Feuerbälle an Ihm vorbei gerauscht, hatten die Umgebung um Ihn herum in Flammen gehüllt, so dass es nur noch einen Rückzugsweg für Ihn gab. In Richtung der panischen FBI-Agenten, die wie wild um sich schossen. Die Chance, dass er von einem Querschläger getroffen werden konnte, war deutlich höher, die Chance auf einen Gewinn in der staatlichen Lotterie und das sollte etwas bedeuten.
Als Thomas den Wagen beinahe erreicht hatte, verschwand dieser urplötzlich vor seinen Augen. Als er sich umdrehte konnte er auch den FBI-Agenten, den er soeben niedergeschlagen hatte nicht mehr sehen. Er war verschwunden, so als ob er nie dagewesen wäre. Auch der Schmerz den er empfunden hatte, war urplötzlich verschwunden. Nur der Rauch, in dem er sich befand schien echt zu sein. Nach wie vor hörte er Stimmen, Panik, das Geschrei von Männern und Frauen, sowie immer wieder abgegebene Feuersalven aus Handfeuerwaffen.
Jason schaffte es Agent Whitmann unbeschadet in Richtung der Container zu befördern. Weder wurde er von den anderen FBI-Agenten noch von den unbekannten Angreifern aufgehalten. Auch die Hitze des Feuers schien hier nicht mehr so gefährlich zu sein.
Whitmann schlug die Augen auf, blinzelte und stöhnte leicht auf, als den Schmerz verspürte. Bevor Sie etwas sagen konnte, durchfuhr Sie erneut der Schmerz und außer einem Stöhnen entkam kein weiterer Laut Ihren Lippen.
Als Rick an der Stelle ankam, an der zuvor noch Thomas und Jason, sowie viele der anderen mutmaßlichen Mutanten gefangen gehalten wurde, entdeckte er den leblosen Körper eines Menschen auf dem Boden. Sein Körper sah vollständig verbrannt aus - augenscheinlich durch einen direkten Treffer mit einem Feuerball, doch als Rick Ihn berührte konnte er noch einen Puls fühlen. An der Brusttasche des Agenten konnte er einen verkohlten FBI-Ausweis erkennen, auf dem mittig die Buchstaben thor prangten. Offensichtlich war dies nicht der Name des Mannes, doch die davor und dahinter liegenden Buchstaben konnte Rick nicht erkennen
Spielleitung: Murrays Corner, New York State Road NY33-E
Rund eine dreiviertel Stunde nach Ihrer ungewöhnlichen Abreise aus Buffalo waren Daniel und Lilli an Murrays Corner, einer Abzweigung der Staatsstraße NY 33-E auf dem Weg von Buffalo noch Boston angekommen. Daniel hatte entschieden, dass es wohl besser wäre sich von den Hauptstraßen fern zu halten und so hatten die beiden die Interstate 90 gemieden und waren stattdessen im Nirgendwo angekommen. Es wurde langsam hell und so konnten die beiden auch ohne Lichter sehen, was Lilli einen recht guten Blick auf den bewusstlosen Ägypter auf der Rückbank des Wagens erlaubte. Inzwischen hatten Sie es auch geschafft das Radio des Wagens, welches durch Lillis vorherigen Versuch denselbigen zu stehlen beeinträchtigt worden war, auch normale Lautstärkte einzustellen.
Noch immer hatten Sie nichts von Kimberly gehört. Das mochte auch daran liegen, dass Daniel das Telefon nur einmal kurz eingeschaltet hatte, um es auf Nachrichten zu prüfen, bevor Sie Buffalo letztlich verließen. Schon dort hatte er als einzige Meldung das zur Neige gehen seines Akkus vorgefunden...
Murrays Corner, New York State Road NY33-E
Daniels Blick war auf die Straße fixiert, unterbrochen von gelegentlichen Blicken in den Rückspiegel. Es war Schweigen eingekehrt, eine Mischung aus Erschöpfung und unausgesprochenen Fragen. Aus dem Radio erklang gerade ein Song von Chris Henderson. Er warf einen Blick zum Beifahrersitz, um zu sehen, ob Lilli wach war. Er wusste, sie hatte Fragen, doch er wusste genau genommen gar nicht, wie er diese beantworten sollte. Denn was war eigentlich geschehen vor dreieinhalb Jahren? Weder er noch Pandy hatten das je richtig rekonstruieren können. Er hatte ihr das Nötigste zur Situation erklärt, dass er auf der Suche nach einer Freundin war und in einem Motel attackiert worden war, wobei der Junge auf der Rückbank eingegriffen hatte und verletzt worden war. Doch bezüglich der weiteren Details oder anderer Fragen hatte er sie vorerst auf später vertröstet.
Der junge Nordafrikaner auf der Rückbank atmete inzwischen ruhig. Zwar hatte "Renostan" sich als Medikament gegen Harndrang herausgestellt und war somit wenig hilfreich, doch immerhin hatten Lilli und er dem Jungen erfolgreich zwei Ibu 800 verabreicht und beim Verbandswechsel die Wunde mit Iod desinfiziert. In Kombination mit der entzündungshemmenden Wirkung des Schmerzmittels sollte dies vorerst ausreichen, hoffte er.
Daniel bemerkte, dass er wiederholt blinzelte und gestand sich ein, dass er müde war. Es wäre sinnvoll, demnächst Rast zu machen, einen Kaffee zu trinken, vielleicht etwas zu essen. Bei dieser Gelegenheit sollte er auch sein Smartphone noch einmal checken - vielleicht hatte Kim sich inzwischen gemeldet. Inzwischen hielt er es nicht länger nur wegen der Gefahr, geortet zu werden, ausgeschaltet, sondern auch, weil der Akku nicht mehr lange durchhalten würde. Zwar hatte er ein USB-Ladekabel bei sich, allerdings verfügte das Auto nicht über eine USB-Buchse. Aber vielleicht war Lilli ja entsprechend ausgerüstet?
"Du hast nicht zufällig eine Powerbank dabei? Oder einen USB-Adapter hierfür?" Er deutete mit der Rechten auf den Zigarettenanzünder.
Cambridge, Massachusetts, Freitag, ca. 16:15 Uhr
Blitzschnell sammelte Felina die drei kleinen Batterien auf, die auf dem Fußboden verteilt waren, und angelte mithilfe ihrer Krallen eine vierte unter dem Sofa hervor. Etwas länger brauchte sie, um die Universalfernbedienung wieder damit zu bestücken und dann augenblicklich den Ton von 100 % auf knapp unter 30 zu regulieren – für sie selbst immer noch ein wenig laut, doch definitiv Zimmerlautstärke. Dem Geschehen auf dem Bildschirm schenkte sie keine Beachtung; dort war auch im Moment nur noch der Nachrichtensprecher zu sehen.
Statt diesem zuzuhören, wandte sie sich ihrem Mitbewohner zu. Sergios Ausbruch hatte die Italienerin trotz ihrer guten Spanischkenntnisse nur begrenzt verstanden. Zu schmerzhaft war das elektronische Gebrüll in ihren Ohren gewesen. Zudem hatte der Andalusier einen derben Akzent, wenn er sich aufregte – selbst unter optimalen Bedingungen musste sie ab und an raten, was sich unter dem Dialekt seiner Heimat verbergen mochte. So auch dieses Mal. Vorsichtig legte sie ihm die Hand auf die Schulter und hielt ihm mit der anderen die Fernbedienung hin. „Sí, es un aparato viecho. Aber er läuft. Du musst dich einfach noch mit ihm anfreunden, “ meinte sie in versöhnlichem Tonfall. Seine heftige Reaktion verunsicherte sie. Hatte sie sich vielleicht zu sehr im Tonfall vergriffen? Er war ihr Lehrer, Anführer… ehemaliger Anführer des irischen Widerstandes. Aber sie waren auch Freunde. Normalerweise hatte er kein Problem mit lockeren Kommentaren; nicht damals in Irland, nicht wenn sie zwischenzeitlich telefoniert oder gechattet hatten… Deshalb zögerte sie nur kurz, bevor sie versuchte, die Stimmung aufzulockern. „Dabei müsste man meinen, dass ein Röhrengerät bei einem Mann in deinem Alter nostalgische Erinnerungen weckt.“
Als ihr bewusst geworden war, dass sich auch Andrew noch im Raum befand, hatte Felina sofort zu Englisch gewechselt. So sehr sie den spanischen Austausch mit Sergio schätzte, sie wollte niemanden ausschließen oder unhöflich sein. So fuhr sie munter an beide gewandt fort: „Ihr werdet nicht glauben, wer…“ Mitten im Satz unterbrach sie sich. Sie hatte die noch immer angespannte Stimmung im Raum auf den Bericht geschoben, den sie soeben gesehen hatten. Von den neuesten Entwicklungen hatte sie dank Sylvains Ankunft nichts mitbekommen. Doch als ihr Blick nun auf die Gesichter ihrer beiden Freunde fiel, blieb ihr der Satz im Hals stecken und jeder Hauch von Freude und Fröhlichkeit erlosch augenblicklich. „¿Que passa? Was ist los?“ Verwirrt blickte sie auf den Bildschirm, doch die Festnahme im Hafen schien offenbar schon wieder neuen Nachrichten gewichen zu sein. Noch immer war der Sprecher zu sehen, der gerade über irgendeine Geiselnahme berichtete. Dahinter war das Bild einer lächelnden jungen Frau in Polizeiuniform eingeblendet, eine gewisse A. Whitmann, vermutlich das Opfer der Entführung. „Ist sie auch eine von uns?“
Cambridge, Massachusetts, Freitag, ca. 16:15 Uhr
Die Nudeln sind fertig.
Die Nudeln?
Sergio war sich sicher, dass er sich verhört haben musste, was seiner Miene auch deutlich anzusehen war. Hatte Felina J. C. nicht nur zeigen wollen, wo er die Einkäufe verstauen konnte und Kaffee machen? Nun waren jedenfalls mehr als die veranschlagten fünf Minuten vergangen, Andrew trug immer noch kein T-Shirt, auch Felina war noch nicht umgezogen aber dafür hatten sie jetzt Pasta. Anscheinend war er der einzige, der seinen Auftrag, jemanden im Hafen zu kontaktieren, erledigt hatte.
Die Unruhe, die ihn ergriffen hatte nahm zu. Zu viele Leute, zu viel Aufregung! Er besann sich, nahm einen tiefen Atemzug und versuchte die aufgeladene Energie im Raum auszublenden. Er bemerkte, dass Andrews Antwort an Felina leicht zu Missverständnissen führen konnte, denn noch hatte sie gar nicht mitbekommen können, dass inzwischen wirkliche Terroristen involviert waren. "Wir reden hier nicht mehr nur von ein paar vom FBI festgesetzten Mutanten, es hat eine radikale Gruppe eingegriffen", stellte er klar und fuhr fort: "Und den Bildern nach zu urteilen haben die scharfe Waffen, von denen sie heftigen Gebrauch machen, sowie entweder einen Flammenwerfer ... oder es sind Mutanten dabei. Egal wie, die Situation kann jetzt nur noch fatal ausgehen."
Er machte ein paar Schritte vor, so dass er nun in der Mitte von Felina, Andrew und J. C. stand. Der Reihe nach blickte er die Freunde an. "Ich stimme nicht zu, dass wir im Moment nichts machen können. Wie Felina schon sagte: Wenn wir Jason und den anderen Unschuldigen dort irgendwie helfen wollen, darf die Spur nicht kalt werden. Und wir erfahren nicht, wie die Sache ausgeht, wenn wir uns hier auf die Couch setzen und allein den Fernsehberichten glauben. Wie sollen wir weitere Schritte planen, wenn wir nicht wissen, wer sowohl die Opfer als auch die Terroristen sind und was jetzt mit ihnen passiert? Die Angreifer werden fliehen, sobald sie genügend Unheil angerichtet haben. Alle Mutanten, die dann noch dort sind, werden gefangen genommen und als Mittäter angeklagt werden, egal wie es wirklich war. Die Mitarbeiter im Hafen, die die Transporte organisieren, werden wahrscheinlich auffliegen. Und dann haben wir keinerlei Anhaltspunkte, nichts das wir verfolgen können." Er machte eine kunstvolle Pause um seine Worte wirken zu lassen, während er sich fragte, ob seine Stimme tatsächlich heller und jünger als gewohnt klang oder er sich das nur einbildete.
Dann ging er wieder zurück zur Couch und griff nach seiner Sweatshirtjacke, die er vorhin beim Kommen lose über die Rückenlehne geworfen hatte. "Ich bin dafür, dass ein paar von uns, aber mindestens zwei, sofort zum Hafen gehen, so dass wir wenigstens versuchen können, ein paar der Opfer zu retten und vielleicht etwas über die Terroristen in Erfahrung bringen, sodass wir eine Spur haben, die sich verfolgen lässt." Die Tatsache, dass er sich, während er sprach, bereits die Jacke anzog, ließ wenig Zweifel daran, dass er sich nicht davon abbringen lassen würde.
Murrays Corner, New York State Road NY33-E
Ein markerschütternder Schrei erfüllte das Auto. Daniel zuckte zusammen und unterdrückte gerade noch rechtzeitig den natürlichen Reflex, die Bremse durchzutreten. Stattdessen reduzierte er die Geschwindigkeit und warf einen Blick auf die Rückbank. "Alles ist gut", sprach er und wählte einen möglichst sanften Tonfall, der aber noch laut genug war, um zu dem Verletzten durchzudringen. "Alles ist gut", wiederholte er, "Du bist in Sicherheit."
Dann wandte er sich wieder der Straße zu und warf Lilli einen bittenden Blick zu. Er war sich nicht sicher, wie der junge Mann am besten zu beruhigen war. Wahrscheinlich wähnte er sich als Entführungsopfer - falls die Schmerzen durch die Verletzung nicht ohnehin jeden klaren Gedanken unmöglich für ihn machten. Er hoffte, dass bald ein Rastplatz käme, so dass sie anhalten und sich ihm in Ruhe widmen konnten.