Kieta Hatsukoi
Die ehrenvolle Aufgabe, den Reigen zu eröffnen, kommt einem Werk zu, mit dem ich gleich ein bisschen gegen meine eigenen Thread-Regeln verstoße.
„Kieta Hatsukoi“, im Englischen bald physisch erhältlich unter dem Titel „My Love Mix-Up“, ist tatsächlich kein BL im klassischen Sinne, sondern ein Shoujo und läuft seit 2019 in der japanischen Bessatsu Margaret. Dort befindet er sich in direkter Nachbarschaft zu Autorinnen wie Io Sakisaka („Blue Spring Ride“), Aya Nakahara („Lovely Complex“) oder Karuho Shiina („Kimi ni Todoke“).
Schwule Nebenfiguren und homoerotische Andeutungen in Shoujo-Manga sind ja wahrlich keine Seltenheit. Bereits Shoujo-Urgesteine wie „Please Save My Earth“ (1987), „Banana Fish“ (1985) oder „Hana-Kimi“ (1996) spielten gekonnt mit mehr oder weniger offensichtlichem BL-Subtext. Vom weltberühmten Zeichnerinnen-Quartett CLAMP und deren exzessiver Vorliebe für Interpretationsspielräume fange ich gar nicht erst an.
Bis heute ist mir allerdings kein Shoujo-Manga untergekommen, der völlig offen die Annäherung und Beziehung zweier Jungs zelebriert, die nicht bloß Nebencharaktere sind, sondern die eigentlichen Protagonisten des Werkes.
Worum geht’s? Souta Aoki ist verknallt in seine engelsgleiche Klassenkameradin und Sitznachbarin Hashimoto. Für einen Test verleiht Hashimoto ihren Radiergummi an Aoki, vergisst dabei jedoch dummerweise, dass sie darin den Namen ihres Schwarms Ida eingraviert hat. Vor Schreck und spontanem Herzschmerz lässt Aoki das Utensil fallen. Und wer hebt es auf? Natürlich ausgerechnet besagter Ida, der die vermeintliche Liebesbotschaft auch direkt in die falschen Gehirnwindungen bekommt.
Damit beginnen die Irrungen und Wirrungen in „Kieta Hatsukoi“, von denen es zu Beginn der Reihe nicht wenige gibt. Die Klischee-Schublade für Standard-Shoujo-Missverständnisse bleibt aber weitgehend zu, die großen Dramen aus. Stattdessen gibt’s ein wahres Humorfest mit Situationskomik vom Feinsten und Charakteren zum Liebhaben. Verpeilte Gesichtsausdrücke inklusive.
„Kieta Hatsukoi“ stammt übrigens aus der Feder von Aruko, die sich bereits für „Ore Monogatari“ (hierzulande erschienen bei Panini) mitverantwortlich zeichnete. Für die Story ist diesmal zwar nicht Kazune Kawahara zuständig, sondern Newcomer-Autorin Wataru Hinekure. Trotzdem ist unverkennbar die Handschrift des inoffiziellen Vorgängerwerkes zu erkennen. Wer „Ore Monogatari“ kennt, kann sich also in etwa ausmalen, was in dem Überraschungsei drinsteckt: Innige Freundschaften, unschuldig-reine Liebe (auch heterosexuelle, falls das in diesem Thread von Belang ist) und mehr Herz, als in die Brust eines einzelnen Menschen passt. Für Manga-Serien wie „Kieta Hatsukoi“ wurde wahrscheinlich die Kategorie wholesome erfunden.
Das Verrückte: Der Manga liest sich wirklich wie ein Shoujo- und weniger wie ein BL-Titel. Deswegen halte ich nicht für ausgeschlossen, dass selbst reine Shoujo-Leser/innen, die mit Homoerotik sonst nichts am Hut haben, aber vorurteilsfrei und weltoffen herangehen, Gefallen an der Geschichte um Aoki und seine Freunde finden können.
Aktuell wird sogar ein japanisches Live-Action-Drama zum Manga produziert, das bereits im Oktober 2021 startet.
Beim Beliebtheitsvoting Kono Manga ga Sugoi! belegte die Serie dieses Jahr zusammen mit Suu Morishitas „Ein Zeichen der Zuneigung“ (Altraverse) einen soliden neunten Platz unter den Titeln für die weibliche Leserschaft. Neben den aktuell sieben Bänden der Hauptreihe existiert zudem ein Spin-off mit Namen „Kieta Hatsukoi: Shougekijou“, das 2021 vom selben Autoren-Duo gestartet wurde und diverse Kurzgeschichten und Bonus-Episoden aus dem Leben der Protagonisten beinhaltet.
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